Neuer AOP-Vertrag 2023: Welche Auswirkungen gibt es für die Gastroenterologie

Was ging voraus?

Das Jahr 2023 startet mit einem großen Schritt zur Erweiterung der Ambulantisierung von medizinischen Leistungen in Deutschland. Dies trifft die Gastroenterologie in besonderem Maße. Steigende Gesundheitsausgaben in Deutschland und ein zunehmender Personalmangel im Gesundheitssystem treiben das Ansinnen voran, eine Vielzahl stationärer Behandlungen in Zukunft ambulant anzubieten. Hierbei orientiert man sich auch an den europäischen Nachbarländern, die die Richtung der Ambulantisierung schon früher eingeschlagen hatten. Am 22. Dezember haben der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV), die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) den neuen AOP-Vertrag geschlossen.[1] Vorausgegangen war unter anderem ein Gutachten, das von den Spitzenverbänden beim IGES-Institut in Auftrag gegeben worden war.[2] In diesem Gutachten wurde eine umfangreiche Erweiterung eines Katalogs an ambulanten Operationen präsentiert, die die Anzahl der im bisherigen AOP-Katalog enthaltenen Leistungen in etwa verdoppelt. Um eine Entscheidungshilfe für eine ambulante oder stationäre Behandlung zu erhalten, wurde in dem IGES-Gutachten ein umfangreiches System von neun Kontextfaktoren vorgeschlagen. Diese stellten eine Modifikation der bisherigen G-AEP Kriterien dar.

Eine wesentliche Frage blieb vom IGES-Gutachten unbeantwortet und bleibt auch weiterhin offen: Wie kann eine kostendeckende Vergütung der komplexen ambulanten operativen Leistungen erfolgen. Zum Jahresende kamen hierzu allerdings wichtige Hinweise. Das seit 2020 intensiv in diesem Thema arbeitende Innovationsfondsprojekt „Einheitliche, sektorengleiche Vergütung“ hat seine Ergebnisse vorgestellt und vorgeschlagen, aus Kostendaten kalkulierte sektorengleiche Pauschalen für Leistungskomplexe zu erstatten, wenn in dieser ambulanten Versorgungsform Leistungen erbracht werden. Von Anfang an hatten auch die Expertinnen und Experten dieses Projektes endoskopische gastroenterologische Leistungen als einen wichtigen Anteil in dieser Versorgungsstruktur im Auge. In diesem Projekt und auch aus anderen Analysen ist klar geworden, dass eine Verschiebung von DRG-Leistungen in das Ambulante Operieren auf Basis des EBM in der endoskopischen Leistungserbringung aus diesen Gründen kaum realisiert wurde.[3],[4],[5]

In der Gastroenterologie haben sich die DGVS, die Arbeitsgemeinschaft leitender gastroenterologischer Krankenhausärzte (ALGK) und der Berufsverband niedergelassener Gastroenterologen (bng) schon in der Entstehungsphase des MDK-Reformgesetzes in 2019 zusammengefunden und Vorschläge zu einer Weiterentwicklung der sektorenübergreifenden Strukturen gemacht. Zudem wurden in einem gemeinsam beauftragten Gutachten beim Institute for Health Care Business GmbH (hcb) anhand vorliegender Leistungs- und Abrechnungsdaten neue Modelle für eine sektorengleiche Versorgung und eine geeignete Leistungsvergütung herausgearbeitet.[6],[7]

Die weitere Umsetzung des MDK-Reformgesetzes und damit insbesondere auch die leistungsgerechte Vergütung wollen die Spitzenverbände bis zum 31.12.2023 abschließen. Es bleibt aktuell aber unklar, wie diese Umsetzung aussehen wird. Welche Rolle werden die neu verabschiedeten Gesetze §§115e (Tagesstationäre Behandlung) und 115f (Spezielle sektorengleiche Vergütung; Verordnungsermächtigung) einnehmen? Unverständlich bleibt, wieso im AOP-Vertrag für 2023 althergebrachte Vergütungsstrukturen aufrecht erhalten bleiben, obwohl Expertisen und Gutachten sowie die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte gezeigt haben, dass dies u.a. für viele endoskopische Behandlungen nicht funktioniert. Und dies, obwohl mit dem §115f eine Chance für eine sektoren-übergreifende Vergütungsstruktur geschaffen wurde.

 

Was kommt nun im Detail?

Der neue AOP-Vertrag für 2023 nimmt einige Hinweise aus den Gutachten des letzten Jahres auf, um den Vorgaben aus dem MDK-Reformgesetz von 2019 zu entsprechen, verkürzt diese aber wesentlich. Das vielzitierte Gutachten des IGES-Instituts hat z. B. vorgeschlagen, die Liste der ambulanten Operationen (AOP) von ca. 2.500 Prozeduren auf ca. 5.000 in etwa zu verdoppeln.

Die Verhandlungspartner Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), GKV-Spitzenverband und Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) konnten sich zum Jahresende nicht auf eine Umsetzung dieser umfangreichen Änderungen verständigen. Der neue AOP-Katalog erhält aber nur ca. 200 neue Leistungen, dem Vorschlag des IGES-Institutes wurde also nicht entsprochen.

Zudem wurde im IGES-Gutachten zwar ein komplexes System von sogenannten Kontextprüfungen empfohlen. Zwar wird der Begriff der Kontextfaktoren nun neu eingeführt. Eine umfängliche Umsetzung der Vorschläge stellt dies aber nicht dar. Die Vorschläge zur sektorengleichen Vergütung aus dem zitierten Innovationsfondsprojekt wurden ebenfalls nicht berücksichtigt.

Für die Gastroenterologie sind die folgenden OPS-Leistungen neu in den AOP-Katalog 2023 aufgenommen worden:

  • 5-422.53 Lokale Exzision und Destruktion von erkranktem Gewebe des Ösophagus: Destruktion, endoskopisch: Kryokoagulation
  • 5-422.55 Lokale Exzision und Destruktion von erkranktem Gewebe des Ösophagus: Destruktion, endoskopisch: Radiofrequenzablation
  • 5-422.56 Lokale Exzision und Destruktion von erkranktem Gewebe des Ösophagus: Destruktion, endoskopisch: Mikrowellenablation
  • 5-493.00 Operative Behandlung von Hämorrhoiden: Ligatur: 1 Hämorrhoide
  • 5-493.01 Operative Behandlung von Hämorrhoiden: Ligatur: 2 Hämorrhoiden
  • 5-493.02 Operative Behandlung von Hämorrhoiden: Ligatur: 3 oder mehr Hämorrhoiden
  • 5-490.1 Inzision und Exzision von Gewebe der Perianalregion: Exzision
  • 8-123.1 Wechsel und Entfernung eines Gastrostomiekatheters: Wechsel
  • 8-124.0 Wechsel und Entfernung eines Jejunostomiekatheters: Wechsel
  • 8-124.1 Wechsel und Entfernung eines Jejunostomiekatheters: Entfernung

Bisher schon enthalten sind im AOP-Katalog bspw. die

  • Bougierung des Ösophagus oder Kardiasprengung
  • Anlage einer Gastrostomie: Perkutan-endoskopisch (PEG): Durch Fadendurchzugsmethode
  • ERCP (alle Indikationen!)
  • Koloskopie mit Polypektomie oder endoskopischer Mukosaresektion

Neu ist, dass die Leistungen des AOP-Katalogs nicht mehr als Kategorie 2-Leistungen eingestuft werden, d.h. Leistungen, die ambulant oder stationär erbracht werden können. Ab 2023 ist die Einteilung in Kategorien entfallen.

Für alle diese Eingriffe aus dem AOP-Katalog gilt, dass in Zukunft für jeden Fall, bei dem eine Behandlung stationär durchgeführt werden soll, sehr genau dokumentiert werden muss, warum eine ambulante Behandlung nicht möglich war. In jedem dieser Fälle ist mit einer Überprüfung einer stationären Behandlung durch den Medizinischen Dienst (MD) im Auftrag der Krankenkassen zu rechnen (Stichwort: primäre Fehlbelegung).

Die sogenannten Kontextfaktoren, die eine stationäre Behandlungsnotwendigkeit begründen können, sind im aktuellen AOP-Vertrag erstmalig definiert worden. Die G-AEP-Kriterien, die bisher zur Indikation für eine stationäre Behandlung herangezogen wurden, gelten ab sofort nicht mehr. Stattdessen wurde eine im Vergleich zum Gutachtenvorschlag des IGES-Institutes reduzierte Form von Kontextfaktoren veröffentlicht, die eine stationäre Behandlung rechtfertigen. Die Kontextfaktoren umfassen ICD-Diagnosen (z.B. gastrointestinale Blutungen, Abszesse, Ileus, akute Pankreatitis, akuter Myokardinfarkt, akute Cholezystitis, entgleister Diabetes mellitus, akutes Nierenversagen, Divertikulitis – es gibt aber deutliche Lücken und Ungereimtheiten wie z.B. das Fehlen von Leberzirrhose jeder Graduierung, chronischer Pankreatitis und Cholangitis oder infektiologischer Tuberkulose, die nur noch bei Schwangerschafts-TBC oder Knochen-TBC stationär zu behandeln ist), OPS erfasste Prozeduren (hier wurden allerdings keine gastroenterologischen Prozeduren berücksichtigt – von der TIPS-Revision mal abgesehen), stark eingeschränkte Mobilität oder stark beeinträchtigte kognitive Fähigkeiten (Barthel Index) oder ein Pflegegrad 4 oder 5. Die bislang auch noch berücksichtigte, fehlende postinterventionelle häusliche Versorgung ist nicht mehr als expliziter Kontextfaktor vorgesehen und wird in das Ermessen der Ärzte gestellt. Gegebenenfalls soll hier bei den Kassen ein Einzelfallantrag gestellt werden. Das Vorliegen einer oder mehrerer dieser Faktoren muss regelhaft dokumentiert sein. Für die Ärzteschaft stellt sich nicht zuletzt auch die Frage nach der ärztlichen Verantwortung und dem (auch haftungsrechtlich) vertretbaren Risiko einer ambulanten Therapie trotz Komorbidiäten oder fehlender häuslicher Versorgung.

Die Regularien zur Abrechnung der ambulanten Operationen und der verwendeten Materialien haben sich im Vergleich zur bisherigen Regelung nicht wesentlich verändert. Bei den endoskopischen Eingriffen können beispielsweise für die ERCP die Materialien als Einzelkosten abgerechnet werden. Im Speziellen sind dies Kontrastmittel, diagnostische und interventionelle Katheter einschließlich Führungsdraht, sowie im Körper verbleibende Implantate in Summe. Die übrigen Materialien (einschließlich Durchleuchtungsanlage) müssen vom Krankenhaus zur Verfügung gestellt werden. Bei der Koloskopie gibt es in der Regel Sachkostenpauschalen, die bei komplexen EMR nicht den realen Aufwand abbilden. Offen bleibt auch die Berücksichtigung von Personal- und Sachkosten, die durch die ggf. verlängerte postinterventionelle Beobachtung einschließlich Laborkontrolle entstehen (z.B. therapeutische ERCP). Eine Aus- und Weiterbildung ist offensichtlich nicht berücksichtigt, denn die AOP-Leistungen müssen in der Regel von Fachärzten erbracht werden.

Eingriffe, bei denen die meisten von uns sich einig sein dürften, dass sie in den AOP-Katalog aufgenommen werden sollten, wie z.B. die endosonographischen Biopsien oder Leistungen im Bereich der Funktionsdiagnostik, wurden in der aktuellen Version bisher leider nicht berücksichtigt.

Zunächst gilt eine Übergangsfrist. Sofern Patienten bis einschließlich 31.03.2023 zur stationären Durchführung einer Leistung, die neu in den AOP-Katalog hinzugekommen ist, in ein Krankenhaus aufgenommen werden, wird die Abrechnung des Krankenhauses für diese Leistung nicht im Hinblick darauf überprüft, ob die Leistung im Rahmen des Ambulanten Operierens erbracht werden konnte. Bis einschließlich 15.02.2023 wird die Erfüllung der Kontextfaktoren nicht überprüft.

 

Von AOP-Leistungen abzugrenzen: Tagesstationäre Behandlung nach §115e SGB V

Das Jahr 2023 bringt weitere neue Regelungen: Nun gelten neben dem geänderten AOP-Vertrag die tagesstationäre Behandlung entsprechend §115e SGB V und die sektorengleiche Versorgung nach §115f SGB V. Was bedeutet dies? Stationäre Fälle, die aktuell als Ein-Tagesfälle behandelt werden, dürfen bei stationärer Ein-Tagesfallabrechnung als tagesklinische Behandlung erbracht werden (§115e SGB V). Voraussetzung dafür ist eine stationäre Behandlung von mindestens 6 Stunden im Krankenhaus. Diese Leistungen betreffen nur OPS-Codes, die nicht im AOP-Katalog enthalten sind. Ein stationärer Behandlungsgrund muss vorliegen. Es erscheint nicht unwahrscheinlich, dass die jetzt noch im Rahmen der tagesstationären Behandlung abgerechneten Fälle bei der nächsten Revision des OPS-Kataloges als AOP-Leistung definiert werden. Gespannt sein muss man auch darauf, was aus der sektorengleichen Versorgung nach §115f SGB V werden wird und welche Leistungen bzw. Leistungskomplexe dort verortet werden sollen. Auch die Abgrenzung einer sektorengleichen Versorgung zum ambulanten Operieren / AOP ist spannungsgeladen – die vollständige Bezeichnung für den AOP-Katalog ist nämlich: Katalog ambulant durchführbarer Operationen, sonstiger stationsersetzender Eingriffe und stationsersetzender Behandlungen. Ein Zusammenführen beider Bereiche oder ein Überführen des AOP in die sektorengleiche Versorgung hätte diese Widersprüche aufgelöst.

Als gastroenterologische Expertinnen und Experten sind wir uns einig, dass wir die Bemühungen um die Ambulantisierung begrüßen und unterstützen. Hierbei muss jedoch das Wohl der Patienten und die Sicherheit und Qualität bei der Versorgung an oberster Stelle stehen. Damit die Patienten von einer Stärkung ambulanter Versorgungsstrukturen profitieren, ist es zwingend, die in wissenschaftlichen Leitlinien definierten Qualitätsanforderungen zu etablieren und zu berücksichtigen.

Wir werden Sie über alle Neuerungen kurzfristig auf dem Laufenden halten.

Der Vorstand der DGVS
13. Januar 2023

 

[1] AOP-Vertrag 2023. Dezember 2022. Access 10.01.2023

[2] Gutachten nach §115b Absatz 1a SGBV des IGES-Institutes. März 2022. Access 10.01.2023

[3] Einheitliche, sektorengleiche Vergütung. Innovationsfondsprojekt des Hamburg Center for Health Economics, BKK Dachverband e.V., Deutschen Krankenhausinstitut, Fachgebietes Management im Gesundheitswesen, TU Berlin und Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland. September 2022. Access 10.01.2023

[4] M Rathmayer et al. für die DRG-Projektgruppe der DGVS. Kosten endoskopischer Leistungen der Gastroenterologie im deutschen DRG-System – 5-Jahres-Kostendatenanalyse des DGVS-Projekts. Z Gastroenterol. 2017;55(10):1038-1051. doi: 10.1055/s-0043-118350.

[5] M Rathmayer et al. Kosten potenziell ambulant erbringbarer endoskopischer Leistungen in Fällen mit 1-Tages-Verweildauer gegenüber einer längeren Verweildauer. Z Gastroenterol 2022;60(08):e644-e645. DOI: 10.1055/s-0042-1755103.

[6] Vergütungssystematik von ambulant zu erbringenden stationären gastroenterologischen Krankenhausleistungen.  Z Gastroenterol 2022; 60(03): 527-528 DOI: 10.1055/a-1772-3923

[7] Gutachten „Vergütungssystematik ambulant zu erbringender stationärer gastroenterologischer Krankenhausleistungen“. Boris Augurzky, Annika Emde, Sabine Finke, Claudia Rösen. Dezember 2022, Access 10.01.2023