Gegen das Vergessen
Mit der Initiative „Gegen das Vergessen“ schafft die DGVS einen Erinnerungsort für die jüdischen Mitglieder, die während der Nazi-Diktatur aus der Fachgesellschaft ausgeschlossen, entrechtet, verfolgt, zur Flucht gezwungen oder in Konzentrationslager deportiert wurden. Damit wir sie und ihre Lebenswege und vielfältigen Beiträge nicht vergessen. Damit es sich nicht wiederholt.
Kurzfilm „Im Schatten der Geschichte – Erinnern für die Zukunft“
Unser Kurzfilm „Im Schatten der Geschichte – Erinnern für die Zukunft“ wurde im Rahmen der Ausstellung „Gegen das Vergessen“ auf dem Kongress Viszeralmedizin 2024 erstmals gezeigt. Er stellt die Biografien unserer jüdischen Mitglieder in den historischen Kontext und beleuchtet eindrücklich die Auswirkungen der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 auf jüdische Ärztinnen und Ärzte und Mitglieder unserer Fachgesellschaft. Er thematisiert die Ursprünge der Gastroenterologie und unserer Fachgesellschaft und zeigt auf, wie jüdische Kolleginnen und Kollegen durch die nationalsozialistische Herrschaft systematisch entrechtet, aus der Fachgesellschaft ausgeschlossen, verfolgt und zur Flucht gezwungen oder deportiert wurden. „Von nun an war die Collegialität an die Rasse gebunden“ (Hermann Strauß) – diese Worte verdeutlichen den tiefgreifenden Bruch innerhalb der Fachgesellschaft. Das Projekt „Gegen das Vergessen“ sowie der Film erinnern an diese vergessenen jüdischen Kollegen, deren Beiträge die Basis für die moderne Medizin bildeten.
Gegen das Vergessen – Ausstellung zu den jüdischen Mitgliedern der DGVS
In den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts legten unsere ärztlichen Kollegen den Grundstein für die modernen Medizin. Wichtige biochemische Prozesse wurden aufgedeckt, Hilfsmittel wie die Strauß-Kanüle oder das flexible Endoskop entwickelt und das Fachgebiet Gastroenterologie gegründet. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten beginnt die systematische Entrechtung. Jüdische Ärzte werden boykottiert und entlassen, verlieren ihre Kassenzulassung und werden zu Krankenbehandlern degradiert, ihre Approbation wird ihnen entzogen. Bereits 1933 werden die jüdischen Kollegen aus unserer Fachgesellschaft ausgeschlossen. Wer konnte und die nötigen Kontakte im Ausland hatte, versuchte die Flucht. Viele wurden deportiert, ermordet oder begingen Selbstmord.
Unser Projekt Gegen das Vergessen und die gleichnamige Webseite (www.dgvs-gegen-das-vergessen.de), die inzwischen mehr als 100 Biografien enthält, widmet sich diesen Kollegen. Angesichts aktueller politischer und gesellschaftlicher Entwicklungen sind wir in der Verantwortung, uns die Bedeutung von Toleranz, Mitmenschlichkeit und Vielfalt ins Bewusstsein zu rufen.
Symposium der DGVS und der MHH am 4. März 2024
Gegen das Vergessen: Gastroenterologen in der NS-Diktatur – Erinnerung und Auftrag für die Zukunft
Am 4. März 2024 fand in Hannover das gemeinsame Symposium der DGVS und der MHH statt. Erinnert wurde an den niedersächsischen Gastroenterologen Walter Heinemann, dem die Flucht aus Deutschland gelang. Dr. Elke Gryglewski, Gedenkstätte Bergen-Belsen, gab wichtige Impulse, wie wir sicherstellen können, dass die Lehren aus der NS-Zeit auch in unserer heutigen Zeit weiterleben können. In einem Round Table wurde abschließend über die vielen und wichtigen Facetten des Projektes Gegen das Vergessen reflektiert.
Die Veranstaltung fand großen Anklang und könnte exemplarisch für andere Universitäten und Bundesländer sein.
Lange wurde die Zeit von 1933 bis 1945 in der Geschichte der DGVS beschwiegen.
Etwa ein Viertel der damals 480 Mitglieder der Fachgesellschaft galt 1933 nach der Terminologie der NS-Machthaber als „nicht arisch“. Fünf der sechs Mitglieder des Vorstandes der Fachgesellschaft im Frühjahr 1933 bekannten sich zur mosaischen Konfession oder hatten Eltern und Großeltern, die der jüdischen Religionsgemeinschaft angehörten. Sie alle besuchten die Kongresse, arbeiteten zusammen als niedergelassene oder in der Klinik tätige Ärztinnen und Ärzte und hatten wesentlich zur wissenschaftlichen Weiterentwicklung des noch jungen Faches Gastroenterologie beigetragen.
„Von nun an war die Collegialität an die Rasse gebunden“, wie es der für 1933 designierte Tagungspräsident Hermann Strauß ausdrückte, der selbst 1942 aus Berlin in das Ghetto Theresienstadt deportiert wurde. Der Mehrheit der jüdischen Mitglieder unserer Fachgesellschaft gelang bis 1940 die Flucht aus Deutschland. Sie konnten oftmals nur mit größter Mühe im Ausland ein neues Leben beginnen und dort ihre ärztliche Karriere fortführen. Manche hatten diese Möglichkeit nicht mehr.
Seit Beginn der 1990er Jahre würdigte die DGVS zunächst mit einzelnen Gesten der Erinnerung den Begründer der Gastroenterologie weltweit, Ismar Boas, Berlin. 2013 thematisierte die Fachgesellschaft die Verfolgung ihrer jüdischen Mitglieder in dem Band „100 Jahre DGVS“.
Die Initiative „Gegen das Vergessen“ hat sich zum Ziel gesetzt, auf der Grundlage des Mitgliederverzeichnisses 1932/33 an alle – auch bisher weniger bekannte – jüdischen Mitglieder zu erinnern, die nach Beginn der NS-Diktatur innerhalb kürzester Zeit aus der Fachgesellschaft ausgeschlossen wurden.
Biographische Skizzen geben den heute teilweise Vergessenen ihren Namen wieder und erinnern mit zahlreichen, erstmalig publizierten Dokumenten an jene Menschen, die bis zum Frühjahr 1933 geachtete Mitglieder unserer Fachgesellschaft waren. Die Website soll sich in einem offenen kontinuierlichen Prozess weiter und fortentwickeln. In diesem Kontext sind alle ergänzenden Hinweise, Quellen und Korrekturen zu den einzelnen Biografien ausdrücklich erwünscht und höchst willkommen. Weitere Skizzen werden der jetzigen Reihe der Biografien folgen.
Großer Dank gilt den Nachfahren derjenigen Mitglieder unserer Fachgesellschaft, die während der NS-Diktatur verfolgt, aus Deutschland vertrieben oder deportiert und ermordet wurden. Es waren und sind die Enkelkinder, die mit sehr großer Bereitschaft die Recherchen unterstützt haben. Der Kontakt mit ihnen war immer neu bewegend. Ohne sie wäre die zuweilen umfangreiche Recherche einzelner Biografien unmöglich gewesen.
Mit der jüngst veröffentlichten Webseite www.dgvs-gegen-das-vergessen.de hat die DGVS erstmals einen virtuellen Erinnerungsort geschaffen, an dem die Lebenswege und vielfältigen Beiträge ihrer seit 1933 ausgeschlossenen jüdischen Mitglieder gewürdigt werden.
Dr. med. Harro Jenss, ehrenamtlicher Archivar der DGVS