Forschung Gastroenterologie

Interview mit Carolin Victoria Schneider

Jahrgang 1995
Ärztin und Juniorprofessorin am RWTH Aachen
verheiratet

Warum lohnt sich Forschung für dich?

Ich war schon immer fasziniert von den ungelösten Fragen der Medizin und hatte ein großes Interesse daran, Krankheiten nicht nur zu behandeln, sondern ihnen auch vorzubeugen. Durch die Kombination von klinischer Arbeit und wissenschaftlicher Forschung habe ich die Möglichkeit, direkt an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Patientenversorgung zu arbeiten. Das ist nicht nur intellektuell herausfordernd, sondern ermöglicht mir auch einen direkten Einfluss auf die Lebensqualität meiner Patientinnen und Patienten. Meine wissenschaftliche Arbeit hilft mir, die Mechanismen hinter den Krankheitsbildern besser zu verstehen und dieses Wissen in der Praxis anzuwenden. Umgekehrt liefern mir die Begegnungen mit den Patientinnen und Patienten immer wieder neue Fragestellungen für die Forschung. Eine Synergie, die sich gegenseitig bereichert und im besten Fall zu besseren Therapieansätzen führt.

 

Was hat dich dazu bewegt in die biostatistische Forschung zu gehen?

Die Möglichkeit, durch meine Arbeit einen direkten positiven Einfluss auf die Patientenversorgung zu haben, ist für mich sehr bereichernd. Durch Forschung können wir besser verstehen, warum bestimmte Behandlungsansätze für manche Patientengruppen wirken und für andere nicht. Dieses Wissen ist entscheidend, um die medizinische Behandlung weiterzuentwickeln und letztlich das Leben der Patientinnen und Patienten zu verbessern. Mittlerweile haben wir so große Datenmengen in der Forschung gesammelt, sodass es möglich wird immer präzisere Vorhersagen zu treffen. Konnte man früher vorhersagen, welche Therapie für eine Patientengruppe wahrscheinlich am besten geeignet ist, so können wir diese Vorhersagen heute immer genauer treffen, so dass es eines Tages möglich sein wird, individuelle Therapievorhersagen zu treffen.

Darüber hinaus bietet die Forschung einen Rahmen für kontinuierliches Lernen und persönliche Entwicklung. Jedes Projekt bringt neue Herausforderungen mit sich und erfordert eine ständige Anpassung und Verbesserung der Methoden. Dieser dynamische Charakter der Forschung ist etwas, das mich immer wieder antreibt und motiviert.  Die biostatistische Forschung ermöglicht es nicht nur, die Qualität der klinischen Versorgung zu verbessern, sondern auch die Forschung selbst voranzutreiben, indem Hypothesen getestet und wissenschaftliche Erkenntnisse generiert werden, die in Zell- oder Tiermodellen validiert werden. Darüber hinaus treibt die biostatistische Forschung auch die Digitalisierung der Medizin voran. Wenn Daten für die Forschung genutzt werden sollen, muss das Krankenhaus auch digital gut aufgestellt sein, um mithalten zu können. Dieses interdisziplinäre Zusammenspiel von Medizin, Statistik und Informationstechnologie ist für mich unglaublich faszinierend und eröffnet immer wieder neue Perspektiven in der Behandlung von Krankheiten. Die Entscheidung für die biostatistische Forschung kam eigentlich eher zufällig, wie so vieles im Leben. Ich wollte während meiner Doktorarbeit Erfahrungen in klinischen Studien sammeln, merkte aber, dass mich die Datenanalyse besonders interessierte. Ich lernte, wie wichtig robuste, statistisch fundierte Methoden sind, und merkte, dass mich die Biostatistik sehr interessiert. Gerade in meinem Spezialgebiet der Stoffwechselerkrankungen ist es unerlässlich, die komplexen Datenmengen, die durch moderne Diagnoseverfahren entstehen, adäquat auszuwerten. Nur durch eine sorgfältige statistische Analyse können wir fundierte Schlussfolgerungen ziehen und Behandlungsstrategien entwickeln, die sich positiv auf die Patientenversorgung auswirken. Das hat mich motiviert, nach meiner Promotion ein Postdoc an der University of Pennsylvania anzuschließen, den ich gemeinsam mit meinem Mann geplant habe. Hier konnte ich mein Wissen weiter vertiefen und hatte auch Zeit, Programmiersprachen zu lernen. Diese Zeit war aber auch voller Herausforderungen. Die Entfernung von zu Hause und die Konfrontation mit einem anderen Forschungsumfeld waren nicht immer einfach, vor allem während der Corona-Pandemie. Aber ich glaube, dass solche Erfahrungen für die persönliche und berufliche Entwicklung sehr wichtig sind. Durch harte Arbeit, Anpassungsfähigkeit und das wertvolle Feedback meiner Kollegen habe ich nicht nur diese Phase gemeistert, sondern auch wertvolle internationale Kontakte knüpfen können.

Durch die Kombination von klinischer Arbeit und wissenschaftlicher Forschung habe ich die Möglichkeit, direkt an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Patientenversorgung zu arbeiten.

Ist es kompliziert, eine Studie zu starten? Hast du Tipps? Wie sieht es mit der Finanzierung aus?

Das Starten der ersten Studie ist in der Tat ein aufregender Schritt, der jedoch am besten unter der Anleitung eines erfahrenen Teams erfolgt. In der Welt der Forschung ist es essenziell, den Prozess der Studieninitiation sorgfältig zu strukturieren, besonders wenn verschiedene Institutionen und Forschungsbereiche beteiligt sind. Ein guter Startpunkt ist die Formulierung einer präzisen Forschungsfrage, die als Leitfaden für das gesamte Studiendesign dient. Ein interdisziplinäres Team kann dabei helfen, die Fragestellung aus verschiedenen Blickwinkeln zu analysieren. Auch sind Pilotstudien oft Gold wert, da sie erste Erkenntnisse für das endgültige Design liefern können. Selbstverständlich darf auch die Wichtigkeit einer sorgfältigen Datenverwaltung nicht unterschätzt werden.

In puncto Finanzierung gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten. Deutsche und europäische Institutionen wie die DFG oder die EU sind dabei nur ein Ausgangspunkt, aber es gibt auch oft Möglichkeiten Forschungsgelder Klinik-intern einzuwerben. Industriepartnerschaften können zusätzliche Ressourcen verschaffen, bringen aber die Notwendigkeit einer sorgfältigen ethischen Betrachtung mit sich. In meiner eigenen Karriere hat sich gezeigt, dass die Pflege von Netzwerken und Kooperationen in vielen Bereichen enorm hilfreich ist, um neue Projekte zu starten.

Im Großen und Ganzen erfordert das Initiieren einer Studie eine gründliche Planung in vielen Aspekten – sei es das Studiendesign, ethische Überlegungen oder die Finanzierung. Ein gut ausgearbeiteter Forschungsantrag kann dabei als solides Fundament dienen. In spezialisierten Forschungsfeldern wie der klinischen Forschung sind zusätzliche Faktoren wie Patientenrekrutierung und Datenauswertung entscheidend und sollten im Vorfeld sorgfältig geplant werden. Deshalb empfehle ich, frühzeitig ein kompetentes, interdisziplinäres Team zu bilden und einen detaillierten Forschungs- und Finanzierungsplan auszuarbeiten und sich nicht davor zu scheuen auf Personen zuzugehen, die bereits Erfahrung mit Studien im eigenen Bereich haben.

 

Welche Strukturen gab es schon, welche hast du dir aufgebaut?

In meiner aktuellen Position an der RWTH Aachen hatte ich das Privileg, in bereits gut etablierten Strukturen zu arbeiten, die eine solide Grundlage für Forschung und klinische Praxis bieten. Insbesondere die interdisziplinäre Zusammenarbeit und der Zugang zu modernen Forschungseinrichtungen haben es mir erleichtert, meine Projekte effektiv umzusetzen.

Allerdings habe ich auch eigene Strukturen aufgebaut, vor allem im Bereich der biostatistischen Forschung und der Analyse metabolischer Erkrankungen. Ich habe eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die sich auf diese Themen spezialisiert hat. Darüber hinaus habe ich mich bei Programmen wie „TANDEMmed“ für die Förderung von Nachwuchswissenschaftlerinnen eingesetzt, um meine Erfahrungen weiterzugeben und einen nachhaltigen Beitrag zur Förderung von Frauen in der wissenschaftlichen Community zu leisten.

Eine weitere wichtige Säule ist die Etablierung starker internationaler Kooperationen, zum Beispiel durch meine Postdoc-Zeit in den USA. Diese Netzwerke haben nicht nur den Zugang zu zusätzlichen Ressourcen und Fachwissen ermöglicht, sondern auch den kulturellen Horizont erweitert, was für die Wissenschaft enorm wertvoll ist.

In Bezug auf die Lehre habe ich neue Formate für spezielle Kurse für biomedizinische Statistik entwickelt. Dies dient der Ausbildung der nächsten Generation von Ärzten und Forschern und schafft eine Schnittstelle zwischen meiner Forschung und der Lehre.

Letztendlich ist es eine Kombination aus den vorhandenen Strukturen und den selbst entwickelten, die eine erfolgreiche und innovative Forschung ermöglichen. Jede neue Struktur, die ich aufbaue, soll die bereits bestehenden ergänzen und erweitern, um einen ganzheitlichen Ansatz in der Forschung und Patientenversorgung zu fördern.

 

Wieviel Zeit verbringst du pro Woche mit Forschung und wie schaffst du den Spagat Forschung/Klinik/Freizeit? Welche Unterstützung bietet deine Klinik für Forschungszeit?

Die Balance zwischen meiner klinischen Tätigkeit und Forschungsarbeit ist sicherlich eine der größten Herausforderungen, die ich als Ärztin und Wissenschaftlerin bewältigen muss. Ein effizientes Zeitmanagement ist dabei unerlässlich, und es erfordert, meine Prioritäten klar zu setzen. Dank eines engagierten und kompetenten Teams, das mir zur Seite steht, kann ich Verantwortlichkeiten teilen, was mir ermöglicht, in beiden Bereichen produktiv zu sein.

Unsere Klinik unterstützt mich dabei, indem sie mir Raum für Forschungszeit einräumt. Finanzielle Mittel für wissenschaftliche Mitarbeiter und Postdocs, sowohl durch interne als auch externe Fördertöpfe, sind ebenfalls vorhanden und enorm hilfreich.

Es ist definitiv ein Balanceakt, aber wenn man das richtige Unterstützungssystem und effektive Organisationsstrukturen hat, ist es machbar. Die Vielfalt der Aufgaben und die Möglichkeit, in verschiedenen Bereichen Einfluss zu nehmen, machen die Position für mich sehr erfüllend. Trotz der hohen Arbeitslast und der Zeit, die oft auch außerhalb der Arbeitszeiten für die Forschung aufgebracht werden muss, sind die Momente, in denen ich meine Doktoranden und Doktorandinnen auf Fachkonferenzen ihre Ergebnisse präsentieren sehe, ein unschätzbares Erlebnis und jede investierte Minute wert.

Foto Credit: Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste | Bettina Engel-Albustin 2022

@ 2023
Ein Interview von Lukas Welsch & Jasmin Zessner-Spitzberg